Plädoyer für die privaten Webverzeichnisse und Linksammlungen im Internet
UEBER  DEN  WEBMASTER  ERFAHREN  SIE HIER!!!
In Auswertung eines Medienkongresses zum Thema "Das Internet in der Bildung, Wirtschaft und Kunst, Moskau, den 19.-21.Januar 2000 (Die Veranstalter waren u.a. das Goethe-Institut Moskau und die Russische Universität der Völkerfreundschaft bei der Schirmherrschaft des Russischen Bildungsministeriums und des UNESCO-Komitees für Informationstechnologien in der Bildung. Zu den Sponsoren gehörten die Fa. Siemens und der Ernst Klett Verlag Stuttgart).



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Nachfolgend möchte ich ganz im Sinne der Meinungsfreiheit im Internet einige persönliche Gedanken und Standpunkte äußern, die mir in dieser Form durch den Kongress eingeflößt wurden, an dem ich lediglich als Simultandolmetscher teilnahm.

Durch die Fügung der Umstände wurde ich in die Sektion "Das Internet im Bibliothekwesen" eingeteilt, die mit hochkompetenten Leitkadern und Experten aus zentralen und regionalen Allgemein- und Fachbibliotheken Russlands besetzt war.
Es waren auch deutsche Referenten dabei. Damit möchte ich aber die formellen Informationen als Einstimmung bewenden lassen.

Die Leiter der Informations- und Automatisierungsbereiche von Bibliotheken nahmen Stellung dazu, wie das Internet momentan an russischen Bibliotheken genutzt wird und wie dieses Neue Medium effizient genutzt werden sollte. Da standen u.a. Themen wie Digitalisierung der Bibliotheksverzeichnisse und Buchbestände, die elektronischen virtuellen Bibliotheken, die Internet-Schulung der Bibliothekare und der Leser, die Klassifizierungssysteme in Online-Webverzeichnissen u.v.m. zur Diskussion.

Sehr aufschlussreich fand ich die Mahnung einer Teilnehmerin, dass in Russland bisher sehr leichtfertig mit dem Internet umgegangen werde In der Wirklichkeit aber wäre das World Wide Web ein höchst leistungsfähiges Tool, dessen Potential nur unzureichend genutzt wird.



Nun aber zu meinem eigentlichen Anliegen. Und zwar will ich versuchen, einige - wie mir scheint - strittige Äusserungen der Kongressteilnehmer zu entkräften bzw. zu widerlegen.

1. Das Erstellen von Linksammlungen sei völlig sinnlos???

Dieser Standpunkt wurde in mehreren Beiträgen ausgesprochen. Dabei wurde folgendes ins Feld geführt:

a) Die meisten URLs seien nach höchstens einem Jahr nicht mehr aktuell. Deshalb löhne es sich nicht, diese Art von Webressourcen (jedenfalls an den Bibliotheken) analytisch zu bearbeiten und zu beschreiben.

b) Ein privater Linksammler könne unmöglich mit den kommerziellen Diensten mithalten.

c) Es löhne sich nicht, das Fahrrad jedes Mal neu zu erfinden.

d) Bei der Suche nach Informationen würden die Webverzeichnisse sowieso kaum genutzt. Der Vorrang gälte der Benutzung von Suchmaschinen. Man brauche nur die Suchkriterien vernüftig einzuschränken, um die gewünschten Infos zu finden.

e) Man sollte mit dem Anhäufen von sekundären Linklisten Schluss machen und vordergründig Webseiten mit originären Inhalten ins Netz stellen ("Content" statt Verweise).

Meine Gegenargumente.

1. Dieser linksfeindliche Standpunkt ist schon deswegen verdächtig, weil er von beamteten Bibliothekaren und Informatikern kommt, denen die mitunter sehr laienhaften Webauftritte der Privaten sowieso von vorne weg verpönt erscheinen sollen. Denn es liegt in der Natur des Menschen, etwas, was er selber nie macht, rundweg abzulehnen. Und ein Profi-Katalogisierer würde in seiner Freizeit kaum eine Linksammlung über seine Hobbies oder gar einen Verweiskatalog erstellen wollen.

2. Eines der Vorteile des Internet besteht gerade darin, dass jeder hier seine Meinung frei äußern darf, soweit er im Rahmen der Netiquette bleibt. Deshalb kann jeder selber entscheiden, was er äußerlich und inhaltlich aus seiner Homepage macht.

Ich persönlich plädiere lediglich dafür, daß bei jedem Linkverweis unbedingt kurze Inhaltsangaben gemacht werden. Die Floskeln wie "Besuchen Sie die total geile Homepage von meinem Freund Bob" bewerte ich angesichts der immensen Informationsflut als Mißachtung gegenüber den anderen Netzbürgern.
Also rein psychologisch und menschenrechtlich gesehen kann jeder seine Bookmarks publizieren oder eine geordnete Linksammlung anlegen, wenn es ihm selber Spaß macht.

Jetzt aber zu den sachlichen Einwänden.

3. Die Informationsspezialisten reden heute davon, daß von schätzungsweise 800  Millionen Webseiten  maximal 200 Millionen Seiten durch die besten Suchmaschinen auffindbar sind. Aus meiner eigenen Web-Erfahrung weiss ich andererseits, dass oft sehr nutzvolle Webinhalte einem rein zufällig (sei es aus Suchmaschinen, Link- oder Mailinglisten) vor die Augen kommen.

Deshalb vertrete ich den Standpunkt, dass alle Arten von Bookmarks oder Linklisten eine wertvolle Ergänzung zu der Suchmaschinen-Recherche und den kommerziellen Webverzeichnissen sein können. Insbesondere wenn diese thematisch geordnet oder sonst an inhaltlich passender Webseiten-Stelle untergebracht sind. Um so mehr als die modernen Suchdienste auch nicht einwandfrei sind.
In dem Sinne würde ich die Linkseiten-Bastler von heute mit den Vertretern des Zeitalters  der Aufklärung vergleichen.

4. Ich glaube nicht, daß irgendwelcher Betreiber einer privaten Linksammlung es darauf abgesehen hat, den Großen wie Yahoo, Altavista oder Hotbot den Rang abzulaufen.

Ich persönlich bin bei jeder meiner vielen Linksammlungen darum bemüht, meine persönliche Weltsicht und meine Vorlieben in mein Webverzeichnis hereinzubringen.
Mein Vorteil gegenüber den Kommerziellen besteht darin, daß ich nicht finanziell engagiert bin und primär nach inhaltlichen und qualitativen Kriterien
die Links für meine Kategorien aussuchen kann.

Jede private Linksammlung ist eben durch ihre subjektiven Akzente eine Bereicherung der oft uniformierten, einseitigen und undurchsichtigen Linkgräber der großen Webverzeichnisse.
 

5. Die Orientierung und Navigation durch den Wust der großen kommerziellen Verzeichnisse ist oft eine Zumutung - insbesondere für einen weniger erfahrenen Surfer, der sich in einer thematisch engeren, dafür aber übersichtlicheren privaten Linksammlung besser zurechtfinden kann.

6. Kaputte Links, nicht mehr existierende, inhaltsleere oder irreführende Webseiten gibt es dutzendweise auch bei den supergroßen etablierten Webverzeichnissen.

7. Stichwort Fahrrad-Neuerfinden. Die heutige Zivilisation existiert bereits seit Jahrhunderten, so daß fast jeder - egal, ob er ein Buch schreibt, ein Gemälde malt oder ein Gerät entwickelt, täglich in die Fußstapfen seiner Vorgänger treten und einen virtuellen Streit mit diesen austragen muß. Sonst sollte man aufhören, Bücher zu schreiben, weil es bereits mehr als genug Bücher gibt.

8. Auch wenn tatsächlich die URL-Ausfallquote nach einem Jahr 20 Prozent betragen würde, sehe ich darin immer noch keinen Grund, um auf die Indexierung und Beschreibung der Webinhalte zu verzichten.

9. Die Internet-Nutzung wird immer stärker. Die Anzahl von Webseiten und Surfern nimmt schnell zu. Schon bei derzeitigen Dimensionen finden man genug Internet-Nutzer, die die Suchmaschinen bevorzugen und solche, die lieber in den aufbereiteten Verzeichnissen und Linksammlungen blättern.

10. Den Fans der "Content"-Seiten würde ich folgendes entgegenhalten. Die verteilten Datenbanken sind längst ein Begriff. Das Internet ist im Grunde eine globale verteilte Datenbank. Für einen Informationen Suchenden ist es egal, ob sich meine Webseite in Russland, Deutschland, den USA oder sonstwo befindet. Ausschlaggebend ist es, daß er an die gewünschten Informationen schnell herankommt.

Somit würde ich die Hauptseite mit dem Inhaltsverzeichnis, das auf die einzelnen Seiten am selben Server verweist, mit einer Linkliste gleichsetzen, die auf weltweit gestreuten Webinhalte aufmerksam macht.

11. Ausgehend vom Punkt 10 bin ich der Meinung, daß eine gut geordnete und qualitativ hochwertige Linksammlung ebenfalls als eine "Content"-Seite zu betrachten ist. Natürlich kann ich mich hinsetzen und eineb Artikel über Albert Einstein schreiben. Ich finde aber lieber 10 Stellen im Internet, wo bereits ähnliche Texte vorhanden sind. Damit bringe ich diese quasi in den Internet-Umlauf und erleichtere zugleich die Suche den anderen an diesem Thema interessieren, die sich Zeit und Mühe sparen können.

Den "Content" um des "Contents" willen zu produzieren hieße eben, das Fahhrad unnötig neu zu erfinden.

12. Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass auch die sogenannten originären Webinhalte heute noch viel zu wünschen übriglassen. Beim näheren Besehen ergibt es sich oft, daß die sogenannten "elektronischen Dokumente" nichts weiter sind als eine ins Netz gestellte Kopie einer Printedition, ohne dass die Online-Vorteile wirklich zum Tragen kommen.



Damit möchte ich meine weitschweifigen Überlegungen belassen. Wenn jemand mit meinen Argumenten nicht einverstanden sei, bin ich gerne bereit, seine Gegenargumente hier auf meiner Webseite zu publizieren. Zu dieser kritischen Gegendarstellung hat mich veranlaßt, daß ich mit den eingangs angeführten Statesments auch meine eigene Sisyphus-Arbeit im Internet als etwas quasi völlig Unnützes und Sinnloses in Frage gestellt sah.

Juri Novikov
Moskau, den 21.Januar 2000
Meine Email-Adresse: [email protected]



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